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Bundeskongress 2023

Zukunftsstädte – klimaangepasst und wassersensibel

Ein Teil dieses Textes von Peter Stünzi erschien mit dem Titel „Klimaangepasste und wassersensible Stadt“ in dergartenbau, Grünräume Special, vom 25. Mai 2023, S. 44

Am deutschen Bundeskongress der Grünen Fachverbände Mitte Mai in Mannheim (D) standen, Bäume, besonders Strassenbäume, oft im Fokus der Referate. Dabei zeichneten sich gegensätzliche Positionen ab: sollen wir breit experimentieren mit dem Regenwasserablauf von Strassen versus die Sorge damit Strassenbäume zu vergiften oder zu ertränken.

Acht Manager hat Bürgermeisterin Prof. Dr. Diana Pretzell eingesetzt, um die acht Felder des Europa-Programms „Modellstädte für Klimaneutralität“ umzusetzen. Mannheim ist eine von 100 Modellstädten in Europa, die nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern voneinander lernen, wie das Programm umgesetzt werden kann. Die acht Manager sollen mit der Stadtgesellschaft und der Verwaltung die Themenfelder umsetzen. Für Bürgermeisterin Pretzell sind die Städte die Game Changer beim Thema Klimaneutralität. Massnahmen zur Klimaanpassung sind vor allem im dichten Zentrum der Städte notwendig mit Entsiegelungen, Fassaden- sowie Dachbegrünungen. In Mannheim ist seit 1990 ein klarer Temperaturanstieg feststellbar und die Prognose für 2050 sagt ein klima wie heute in Lyon vorher.

Gartenschau „Natur in der Stadt“ als Urknall für die Nachhaltigkeit

Es muss nicht immer eine Grossstadt sein. Die Kreisstadt Tirschenreuth mit 9'000 Einwohnenden, hat 2013 eine Gartenschau „Natur in der Stadt“ umgesetzt. Der erste Bürgermeister Franz Stahl sagte nicht ohne Stolz, „das war der Urknall für ökologisches Denken in der Stadt“. Seitdem wurde zum Beispiel, auch mit beträchtlichen Eigenmitteln: alter Bausubstanz neues Leben gegeben, der dichte Stadtkern wieder von Wasser umflutet, eine Brauerei umgenutzt, Weiher renaturiert usw. In der „Integrierten Stadtentwicklung“, 2006 initiiert, 2015 evaluiert, 2022 umgearbeitet, waren die Themen Umwelt/Natur/Nachhaltigkeit, am Start noch Nebenthemen; seit 2020 sind es die Hauptthemen.
Die grösste Hürde bei der Umsetzung der Massnahmen Nachhaltigkeit ist für den ersten Bürgermeister die Tatsache, dass hier eine Kommune weiter denkt als manche übergeordnete Stellen, das ist unüblich und eckt an.

Projekt Schwammstadt für Bäume

Wien ist in der Klimakrise: 2015 gab es 250% mehr Klimatote als Verkehrstote. 2022 wurden 25 Hitzetage gemessen, 2050 sollen es 60 bis 90 werden, die Aussicht für spätere Jahre liegt bei deutlich über 100. Die Konsequenz daraus für Daniel Zimmermann vom Arbeitskreis Schwammstadt Wien ist „Bäume pflanzen und zwar jetzt“, zukunftsfähige, klimaangepasste Bäume, damit sie in 30 Jahren ihre volle Wirkung entfalten können. Bäume haben einen hohen Wirkungsgrad mit 5 -15° gefühlter Temperaturreduktion durch Beschattung und Evapotranspiration.
Dafür benötigen wir einen Paradigmawechsel:
- Es braucht genügend Raum. Nur, es gibt ein Raumproblem im Untergrund. Bei Versuchen mit Baumstandorten von 15 Kubikmeter Baumsubstrat (3 x 3 x 1,7) war der Raum nach fünf Jahren voll durchwurzelt und die Bäume zeigten erste Anzeichen von Vergreisung.
- Es braucht genügend Wasser. Wasser vom Trottoir direkt zum Baum, Wasser von der Strasse indirekt zum Baum ist für D. Zimmermann der Ansatz. Will heissen:gering belastetes Wasser direkt einleiten, hoch belastetes Wasser wegleiten. Dafür hat der Arbeitskreis eine technische Lösung mit einem Zweikammersystem entwickelt. Winterwasser sowie der 1. Schwall Regenwasser von der Strasse werden abgeleitet. Nach dem ersten Schwall soll das Wasser den Bäumen zugeführt werden. Für den Referenten steht der Baum nicht in der Rigole oder Mulde, welche Starkregen aufnehmen soll. Dort wird das Wasser erst gesammelt. Der Baum steht daneben, auch in befestigten Flächen, wo das Wasser von der Seite zur Verfügung gestellt wird
Die grösste Hürde bei der Umsetzung ist der nicht verfügbare unterirdische und Luft-Raum für Baumpflanzungen.

Innovative Dachlandschaft auf dem Bunker St. Pauli

Der Hamburger Bunker, Grundfläche 75 x 75 Meter bei 38 Meter Höhe wurde ergänzt durch eine 20 Meter hohe Aufstockung. Das ergibt einen Dach-Stadtgarten von 1'400 Quadratmeter und zur fussläufigen Erschliessung einen 330 Meter langen „Bergpfad“ welcher sich um das Gebäude windet. Ähnliche Realisierungen waren kaum zu finden, wie Felix Holzapfel-Herziger von Landschaftsarchitektur+ ausführte. Deshalb suchten sie Vorbilder an Küsten auf Dünen, in Legföhrenbeständen, an Windlagen usw. Die Pflanzungen erfolgten in der Staffelung Kletterpflanzen, Hänger, Stauden, Büsche, Bäume. Auflage war ein Immergrünen-Anteil von 80 Prozent. Wasser läuft gedrosselt, kaskadenartig über die verschiedenen Stufen, überschüssiges Wasser wird in Retentionsboxen aufgefangen und bei Bedarf hochgepumpt. Vor Starkregen können diese entleert werden. Die Bewässerung ist über 80 Sensoren temperaturgesteuert, sie erfolgt ganzjährig automatisch per Tröpfchen.
Der Gewinn ist eine zusätzliche Erholungsfläche von einer ungewohnten Qualität, ganz ohne neuen Flächenverbrauch mit mehr Natur und zusätzliche Arten.
Gemäss dem Projektverfasser war die grösste Hürde, die Entscheidungsträger vom Mehrwert des Projektes für Natur und Nutzer zu überzeugen sowie die mangelnden Referenzprojekte.

"Blue Green Streets"

Es geht um Synergien (und Fragen) zwischen Wasserwirtschaft und Strassen- bzw. Grünplanung, meinte einleitend Prof. Dr. Ing. Wolfgang Dickhaut. Starkregen und Trockenheit sind Ausgangspunkt der Überlegungen. Bewässerung mit Trinkwasser ist nicht nachhaltig. Es braucht einen Paradigmawechsel im Umgang mit Regenwasser: Nutzung, Versickerung, Verdunstung, Rückhaltung sind angesagt. Niederschlag soll als direkte Ressource verstanden werden, nicht als Problem. Die dezentrale Nutzung bedingt allerdings auch eine dezentrale Reinigung. Ziele sind: bestehende Strassen klimaangepasster aufteilen, als Aufenthaltsräume nutzbar machen und wassersensibel gestalten. Beim Finden von Platz für Blau und Grün sieht der Referent zwei Ansätze: Platz auf der Fahrbahn finden, Platzbedarf fürs Parkieren hinterfragen.
Um Platz für den Wurzelraum der Bäume zu finden, ist eine frühe Einbindung in die Planung notwendig.
Beim Thema Baum und Wasser geht es um den Schutz und Erhalt des Bestands, die Schaffung von grossen Wurzelräumen und auch die Möglichkeit, Bäume an und in Mulden zu pflanzen. W. Dickhaut fordert dazu auf, in vielen Varianten zu denken und zu handeln: Wasserspeicherung mit und ohne Bäume, mit Einstau, mit Filter, mit Zisterne, Bewässerung mit 200 Quadratmeter Dachfläche, usw.
Damit nimmt der Referent eine andere Position ein, als der Arbeitskreis Bäume der GALK.

Die Position des Deutschen Städtetages

Der Deutsche Städtetag begrüsst, dass ein Klimaanpassungsgesetz auf Bundesebene kommt und die Klimaanpassung eine Pflichtaufgabe für Kommunen werden soll. Vorgesehen ist ein Verschlechterungsverbot sowie als Rahmen ein Berücksichtigungsgebot. Beim Aktionsplan Klimaschutz ist vor allem der Punkt 7.1. Siedlungs- und Verkehrsflächen für Städte wichtig. Gewünscht wird vom Städtetag, keine kleinteiligen Förderprogramme. Bei den Richtlinien zur Wiederherstellung der Natur ist ein Zuwachsziel vorgesehen. Das würde nach Meinung des Städtetags Kommunen, die ihre Aufgaben schon gemacht haben, bestrafen. Vorgeschlagen wird ein Minimalziel, es soll nicht für alle Gemeinden ein Zuwachs gefordert werden.

Fazit

  • Es braucht einen Paradigmawechsel: Zuerst Grün und Blau vor Schwarz und Grau, dies auch um den dringend notwendigen „Raum für Stadtbaum“ zu finden;
  • Es müssen jetzt klimataugliche, zukunftsfähige Bäume gepflanzt werden mit 30 Quadratmeter potentiellem Wurzelraum, damit diese für 2050, wenn die Klimaerwärmung über + 2° liegt und sich die Anzahl der Hitzetage verdoppelt haben, ihre beschattende Wirkung entfalten können.
  • Bei Projektierungen, ab Beginn, den Wurzelraum im Untergrund mitdenken;
  • Die beiden Themen Förderung von Strassenbäumen, dadurch hoher Beschirmungsgrad und hohe Verdunstung, sowie Rückhaltung von Regenwasser sollen getrennt betrachtet werden.
  • Bei der Bewässerung von Strassenbäumen mit Regenwasser ist der Nutzung von Dachwasser mehr Beachtung zu schenken
  • Bäume dürfen weder durch Einleitung von belastetem Wasser vergiftet noch durch die Einleitung von zu viel sauberem Wasser ersäuft werden.
  • Gestandene Bäume sind in ihren gewohnten Bedingungen zu belassen, der Wurzelraum soll besonders geschützt werden.

Seite erstellt am 31.07.2023